Ein Flimmern und Flirren strahlt aus den Bildern, die von großer energetischer Spannung aufgeladen scheinen. Pulsierende Vibrationen versetzen die kleinteiligen Oberflächen in rhythmische Schwingungen. Farben und Formen, Muster und Strukturen, gewinnen ein gleichsam organisch-konstruktives Eigenleben. Der unruhigen Kraft der Kompositionen wohnt zugleich eine überraschende Harmonie und starke Konzentration inne. Heidrun Eskens beschwört in ihren meist großformatig konzipierten und stets im quadratischen Format ausgeführten Bildschöpfungen die Macht der Farben und Komplexität der Strukturen, ergründet in immer neuen Bildvariationen deren Wesen, Wirkung und Wahrnehmung. Es ist ein intensives Erspüren und sinnliches Erleben von autonomen Wirkungsweisen der bildnerischen Mittel, das aus den von jeder gegenständlichen Abbildfunktion oder Wirklichkeitsnachahmung befreiten Gemälden spricht.
Die Studienjahre führen Heidrun Eskens an die Münchner Akademie, wo sie von 1970 bis 1976 bei Mac Zimmermann (1912-1995), einem wichtigen Vertreter des deutschen Surrealismus, ihre künstlerische Ausbildung erhält. 1987 gründet Eskens ihre eigene Kunstschule in München, von 1992 bis 1995 übernimmt sie die künstlerische Leitung der Galerie Popp. Als Dozentin wirkt sie von 1992 bis 2003 an der APAKT München (Arbeitsgemeinschaft Psychoanalytische Kunsttherapie). 1995 gründet Eskens zusammen mit dem Musiker und Möbelgestalter Ludwig Popp die UP ART Kunstgesellschaft in München. Bis 2005 leitet sie die Münchner Galerie Steinle. Zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz machen seit 1986 ihr Werk beim kunstinteressierten Publikum bekannt.
Eskens gestalterische Intentionen kreisen um das systematische Ausloten von Strukturen und Ordnungsprinzipien im vielschichtigen Spannungsfeld zwischen Farbe, Fläche und Raum. Auf ihren teils farbintensiven Leinwänden entfalten sich ebenso konkrete, geometrisch-tektonische als auch expressive, dynamisch-fließende Bildwelten, die als visuelle Phänomene eine ungeahnte Wirkung bekommen und stets die Balance halten zwischen strengem Kalkül und emotionaler Offenheit. Eskens Gemälde spielen mit den Variablen von Wahrnehmungsprozessen und aktivieren gezielt das Auge des Betrachters. Aus kunsthistorischer Sicht wurzelt das Gestaltungsprinzip in der Konkreten Kunst, der Op-Art und der Gruppe „Zero“. Ausgehend von den formalen Errungenschaften dieser innovativen Stilrichtungen der 50 er bis 70er Jahre untersucht Eskens in ihren Arbeiten die mannigfachen Beziehungen zwischen Farbe und Form, Muster und Grund, Bewegung und Raum. Auf der Bildfläche entfalten sich komplexe Farb-Licht-Konstellationen, die der Betrachter als Interaktion von subtilen Farbabstufungen, kraftvollen Hell-Dunkel-Kontrasten und minimalen Formveränderungen erfährt. Basierend auf der Idee der Vibration von Farben und Strukturen avanciert das Bild zum reinen Schwingungsfeld. Evoziert wird die Illusion von Dynamik und Rhythmus, Klang und Tiefe, von stetiger Veränderung und fortwährender Transformation. Es entsteht ein Prozess des Gleitens, Strömens und Flutens, in das unser Auge unweigerlich hineingezogen wird. Gleichzeitig öffnen sich perspektivisch anmutende Bildräume, gewinnen die Bilder unversehens an reliefartiger Plastizität. Mittels einer lasierenden Maltechnik und präzisen Schichtenmalerei entwirft Eskens geometrische Abstraktionen, die sich als ein Vordringen in Bereiche des Unbewussten lesen lassen und sich in Dimensionen erweitern, die unter der brüchigen Membran des Bekannten und Vertrauten liegen. Neben ihrer vordergründig ansprechenden optischen Signalwirkung sind die Bilder somit vor allem auch als geistige Schöpfungen zu erleben, die neue gedankliche Ebenen offenlegen. Eine leise Poesie und stille Harmonie spricht aus den Werken.
Eskens feinsinniger Umgang mit Kolorit und Struktur löst beim Betrachter optische Irritationen aus. Es entsteht der Eindruck sphärisch entrückter Energieräume, in denen Nähe und Ferne, Oben und Unten, Vorne und Hinten, elastisch ineinander gleiten, in der alles in einem ständigen Fließen und gleichmäßigen Strömen begriffen ist. Unversehens gerät der Betrachter in den Bann dieses faszinierenden Spiels. Die formatfüllend in Szene gesetzten und über die Bildränder ins Unendliche drängenden Strukturen wie Linienkürzel, Punkte, Kreise, Raster, Gitter oder scheinbare Löcher, die sich oftmals netzartig über die Bildflächen ausbreiten, erzeugen raffinierte Effekte: ein zitterndes Pulsieren, ein zartes Beben der Oberflächen, das unseren Blick in ständiger Bewegung hält. Die harmonisch austarierten Form- und Farbrhythmen bewirken zudem eine räumliche Suggestion, generieren ein spannungsreiches Davor und Dahinter verschiedener Bildebenen und erzeugen eine stetige Wechselwirkung zwischen Ruhe und Bewegung, Statik und Dynamik. Für den Betrachter offenbart sich nicht selten der Eindruck eines freien Schwebens. Lackartig schimmernde Oberflächen reflektieren teilweise das Licht und intensivieren die wechselseitige Durchdringung von Bildstrukturen und Umraum.
Als ein wiederkehrendes Gestaltungselement prägen lochartige, wie perforiert oder ausgestanzt wirkende Strukturelemente einige Kompositionen. Eskens erklärt dazu: „Auf der Akademie lernte ich eine Maltechnik, wie sie z.B. da Vinci benutzte: Kreidegründe und Eitempera-Lasurtechniken: Bei diesem Verfahren entstehen, wenn man etwas zu viel Terpentin nimmt, leicht Löcher in der Farbschicht und die Grundierung kommt zum Vorschein. Nach der Akademie habe ich einige Porträtaufträge bekommen. Mit der Zeit aber haben mich die „Löcher“ mehr interessiert und ich habe einen großen Schritt ins Abstrakte gewagt, was mir viel zeitgemäßer schien und mich bis heute nicht loslässt.“
Im Unterschied zur klassischen Op-Art, die vorrangig auf die Interaktion des Betrachters abzielt, dem sich die Bildwirkung im Vorüberschreiten erschließt, geraten bei Eskens die Bildfindungen aus sich selbst heraus in dynamische Bewegung. So gelingt der Künstlerin mit der Konzentration auf ein Minimum formaler Disziplin eine zeitgenössisch überzeugende, konzeptuelle Neuinterpretation der Optical-Art.
Häufig legt Eskens ihren Werken ein strenges Raster- oder Gittersystem zugrunde, das in einem zweiten Arbeitsschritt farblich und strukturell erweitert und verfeinert wird. Es handelt sich somit um eine gleichermaßen konstruktiv-geometrische wie gestisch-expressive Malerei, die um wahrnehmungstheoretische Reflexionen und bildnerische Untersuchungen im Aktionsfeld zwischen Ordnung und Unordnung, Konstruktion und Dekonstruktion, kreist. Immer wird dabei die scheinbar strikte Ordnung der Strukturen aufgebrochen und öffnet sich zu einem freien, assoziativen Spiel der Farbverläufe und Strukturbewegungen. Eskens minimalistisch anmutende Bildschöpfungen halten zugleich ein beachtliches Potential der Differenzierungen, Zwischentöne und Nuancierungen bereit. Sie betreibt ein virtuoses Vexierspiel zwischen extremer Präzision, konsequenter Verdichtung und zarter Transparenz, zwischen kühler Rationalität und impulsiver Emotionalität, was den Bildern eine ungeahnte Lebendigkeit verleiht. Generell sind die grafischen Strukturen selten absolut gleichmäßig gesetzt, sondern gewinnen durch gezielte Unregelmäßigkeiten ihrer Anordnungen und Positionierungen, Verläufe und Richtungen, eine dynamische Evidenz, welche die Oberflächen mit rhythmischer Energie versorgt. So sind die rasterartigen Netzstrukturen durch plötzliche Dehnungen, Streckungen und Stauchungen aufgebrochen und es ergeben sich überraschende „Sehstörungen“ sowie räumliche Intervalle zwischen Spannung und Gleichgewicht.
Sachlich-nüchterne Bildtitel wie „Grau-Schwarz“, „Rosa-Hellblau“ oder „Gelb-Grün“ betonen die Eigenwertigkeiten der Farbmodulationen. Wenden wir den Blick auf einzelne Kompositionen, so werden im Gemälde „Weiß auf Gold“ (2010) – einem erklärten „Lieblingsbild“ der Malerin – verschiedene tiefengestaffelte Bildzonen sichtbar: zunächst hatte Eskens ihre Familie gemalt und dieses Motiv anschließend mit Goldpigmenten und darübergelegten weißen Punkten übermalt, so daß die Figuren nurmehr als schemenhafte Schatten hindurch schimmern. Das Punkte-Muster der Oberfläche vergleicht Eskens mit den „Kieselsteinen, die die Zen-Mönche rechen“. So gelangt ein Moment der Meditation und Kontemplation in das Bild; ein geistiger Ausdruck wohnt der Malerei inne, der das Dargestellte spirituell aufladen soll. Das Gemälde „Gelb-Grün“ (2007) erinnert, so Eskens, „an Pflanzen und Samen – die schwarzen Punkte darin stoßen sich gegenseitig an und ab“. Es bilden sich molekülartige Kreisbewegungen und blütenartige Gebilde, das Bild ist durchdrungen von Energie und Rhythmus. „Dunkelrot“ (2005) kommt, so die Künstlerin, „ganz aus dem Unbewussten – als Naiver wähnt man dessen Sitz irgendwo im Körper. Deshalb auch die Farbe des Blutes: Rot“. Wichtig scheint Eskens demnach, daß ihre Werke über den rein formalästhetischen Reiz hinaus auch und vor allem eine gedankliche, immaterielle Komponente mit sich tragen. Nicht im Sinne einer bestimmten Botschaft oder konkreten Lesbarkeit, sondern vielmehr in Gestalt einer Assoziation, eines Gefühls, einer Ahnung.
Der Verzicht auf die Farbe und das Grundvertrauen auf reine Hell-Dunkel-Strukturen kennzeichnet die neueste Werkgruppe der Schwarz-Weiss-Grau-Bilder (2014/15), die Eskens folgerichtig als „Unbuntes Beben“ betitelt. Im Zusammenhang mit diesen auf stringente Vereinfachung von Aussage und Wirkung abzielenden Arbeiten spricht die Malerin von einer „Eleganz“ und erkennt darin die „Neigung zu immer stärkerer Reduktion“. Auch in diesen Werken wirkt die intensive Auseinandersetzung mit strukturellen Fragestellungen der Malerei als primärer schöpferischer Impuls: Modulation der Farbe –Rhythmik der Form.
Dr. Andreas Gabelmann